RG1


Das römische Kastell in Ludwigshafen-Rheingönheim

Der Bericht über das Auxiliarlager von Rheingönheim war der Erste, der in der Kategorie „Prospektionsarbeit“ auf unserer Website veröffentlicht wurde.  In der Zwischenzeit hat sich der Erkenntnisstand über diesen frührömischen Militärplatz erweitert. Zuletzt konnte bei der Ausgrabung 2008/2009 ein wahrscheinlich ca. 20-24 ha großes Vorgängerlager nachgewiesen werden, das ca. Zweidrittel der hier besprochenen Prospektionsfläche einnimmt. Spezielle Befunde, die im folgenden Text ausschließlich dem jüngeren Auxiliarkastell zugeordnet sind, können daher möglicherweise auch zu dem früheren, größeren „Legionslager“ gehören. Wohl wissend haben wir bewusst darauf verzichtet den folgenden Text den neuen Erkenntnissen anzupassen – er soll quasi als „historischer“ Text in dieser Form bestehen bleiben. In den aktuellen Berichten werden wir natürlich den neuen Erkenntnissen Rechnung tragen.

Empfohlen wird in diesem Zusammenhang der hervorragende Artikel von T. Maurer, der sich mit den aktuellen Forschungsergebnissen auseinandersetzt:

T. Maurer, Darf’s noch ein großes Lager sein? Grabungen und Luftbilder werfen neues Licht auf den frührömischen Militärplatz Ludwigshafen-Rheingönheim. In: Zeeb-Lanz/A. Stupperich/R (Hrsg.), Palatinatus Illustrandus. Festschrift für Helmut Bernhard zum 65. Geburtstag. Mentor. Studien zu Metallarbeiten und Toreutik der Antike. Band 5, (Wiesbaden 2013), 93-104.
  

 

Bild 1.1

Die Okkupation der Pfalz durch die Römer beginnt ca. 20 v. Chr. und endet fast ein halbes Jahrtausend später um das Jahr 450 n. Chr. Diese Zeit hat viele Spuren hinterlassen. Viele kleine aber auch einige spektakuläre Funde konnten in der Pfalz gemacht werden und ständig werden es - auch dank der Luftbildarchäologie - mehr. Sie erweitern unser Bild von einer Epoche, die sich nachhaltig auf die Entwicklung unserer Region ausgewirkt hat. Ein wichtiger Zeitzeuge für die Romanisierung der Pfalz ist das bekannte Kastell in der Nähe von Rheingönheim.

Bild 1.2

Bild 1.1 u. 1.2: Kastelllage in der Übersicht
Auch auf der gepflügten Ackerfläche werden Kastellstrukturen sichtbar. Bei der von unten nach oben verlaufenden hellen Linie handelt es sich um die Hauptstraße (via principalis) (6). Sie schneidet die helle, schräg von links nach rechts verlaufende Ausfallstraße (via praetoria) (7). Eine dünne, dunkle Linie die oberhalb dieser Straße verläuft kann zur Zeit keiner Kastellstruktur zugeordnet werden.

Motivation

Zwischen Rheingönheim und Altrip liegen unter einer Ackerfläche die Überreste eines römischen Kastells und Teile einer dazugehörigen Außensiedlung. Der westliche Kastellbereich, Teile der Außensiedlung und ein großes Gräberfeld (11) fielen noch vor dem 1. Weltkrieg dem Sandabbau zum Opfer. Im Süden und Osten ist der Kastellbereich durch jeweils eine Straße gestört. Sichtbare Baustrukturen sind keine erhalten geblieben - nur einige Scherben im gepflügten Feld lassen auf eine römische Siedlungsstelle schließen. Oberirdisch sind zwar einige Geländeerhebungen zu erkennen, diese können aber nur mit genauer Kenntnis des Lageplans mit dem Kastell in Verbindung gebracht werden. Für Hobby-Luftbildarchäologen ist das Gebiet ein interessantes Forschungsobjekt. Fast zu jeder Jahreszeit lassen sich aus der Luft im Gelände Kastellspuren nachweisen. So können noch im gepflügten Feld Strukturen erkannt werden, aber erst bei entsprechendem Flächenbewuchs werden typische Kastellstrukturen sichtbar.

Bild 2.1

Bild 2.2

Bild 2.1 u. 2.2: Baustrukturen bei Bewuchs
Deutlich heben sich die negativen Bewuchsmerkmale der beiden sich kreuzenden Kastellstraßen (6, 7) (helle Linien) und das positive Bewuchsmerkmal (dunkelgrüne Linie) eines Teils des unterbrochenen Kastellgrabens (1) im Gelände ab. Bei der ebenfalls von links nach rechts parallel verlaufenden dunkleren Linie, handelt es sich dagegen um einen vorgelagerten Graben (10a). Die zwei parallel verlaufenden Linien (14) könnten auf Entwässerungsgräben einer Straße oder auch auf einen Doppelgraben einer Vorgängeranlage hindeuten.

Die Auswertung der Luftbilder geben uns eine Vorstellung von der Position und der Ausdehnung des Kastells. Auch Teile der Innenbauten und der Infrastruktur im Außenbereich lassen sich lokalisieren. Neue Ausgrabungen auf dem Kastellgelände sind zur Zeit nicht geplant, daher bleiben viele Fragen offen - insbesondere zum Außenbereich. Die Luftbildarchäologie kann diese Lücke schließen und ist deshalb auch für „archaeoflug“ von großem Interesse. Wie schon der  Luftbildarchäologe R. Gensheimer in den 80er Jahren unbekannte Geländemerkmale entdeckte, lassen sich auch noch heute, unter günstigen Bedingungen, neue, unbekannte Strukturen im Innen und Außenbereich des Kastells lokalisieren.

Hinweise zur Interpretation der Luftbilder

Auf den folgenden Luftbildern sind die sichtbaren Strukturen vorwiegend auf sogenannte „positive Bewuchsmerkmale“ zurückzuführen. Ursache dieser Merkmale können Abwassergräben, Entwässerungsgräben von Straßen und Gebäuden, Spitzgräben, Abfallgruben, Balkengräben, Pfostenlöcher und andere Vertiefungen sein. Werden diese über die Jahrhunderte mit organischem Material verfüllt, bildet sich ein nährstoffangereicherter Boden, auf dem die Pflanzen besser und höher wachsen als im angrenzenden Sandboden. Dieser Höhenunterschied und die farbliche Differenzierung im Pflanzenwuchs (stärkere Grünfärbung), kann unter günstigen Bedingungen, aus großer Höhe, im Luftbild deutlich sichtbar werden. Bei der Kastellinnenbebauung und den Außenbauten handelt es sich größtenteils um Holzbauten. Ihre Grundrisse und die Inneneinteilung sind in einem Luftbild nur sehr schwer zu bestimmen. Strukturen der Inneneinteilung können bei Fachwerkhäusern durch die Balkengräben sichtbar werden. Es könnte sich aber auch nur um die positiven Bewuchsmerkmale der Entwässerungsgräben handeln, die um die Gebäude angelegt wurden. Handelt es sich dagegen um einfache Pfostenbauten, bei welchen die Holzpfosten direkt in den Boden eingegraben wurden, können  die positiven Merkmale der Gruben und die gegebenenfalls angelegten Entwässerungsgräben sichtbar werden. Die genaue Kennzeichnung eines Holzbaues ist daher nur durch eine Grabung eindeutig zu belegen. Wir haben deshalb bewusst nicht alle in den Luftbildern sichtbaren Strukturen eingezeichnet. Wir überlassen es ihrer Interpretationsfähigkeit und Fantasie, die sichtbaren Strukturen zu einem sinnvollen Ganzen zusammen zufügen.
Neben den positiven Bewuchsmerkmalen treten auch „negative Bewuchsmerkmale“, durch einen niedrigen Pflanzenwuchs und einer helleren Pflanzenfärbung, auf. Sie kennzeichnen darunter liegende Mauerreste, große Steine, Straßenbeläge, Fußböden oder auch einen stark verfestigten Boden, wie im Beispiel der Kastellstraßen festzustellen ist. Auch bei diesen Merkmalen sind nicht alle sichtbaren Strukturen erfasst. Wir haben uns lediglich auf die wesentlichen und relativ sicheren Baustrukturen beschränkt.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass nicht alle Bewuchsmerkmale auf menschliche Aktivitäten aus der römischen Vergangenheit zurückgeführt werden können. Oft sind es auch "geologische Besonderheiten" im Boden, die zu einer Verfärbungen der Oberfläche führen oder den Pflanzenwuchs beeinflussen und uns einen menschlichen Einfluss vortäuschen.
Ausführliche Informationen zum Thema „Bewuchsmerkmale“ finden Sie unter dem Link: Luftbildarchäologie.

Bild 3.1

 

Bild 3.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 3.1 u. 3.2: Negative und positive Bewuchsmerkmale einiger Kastell-Innenstrukturen und Außenstrukturen. Die Strukturen werden weiter unten besprochen.

Zum Stand der Wissenschaft

Archäologisch ist das Kastell und die Siedlungsflächen im Außenbereich nur in Teilflächen grabungstechnisch erfasst und dokumentiert. Dabei wurden die wichtigsten Erkenntnisse schon bei den Grabungskampagnen von 1912 -1914 gemacht. Leider ist die Dokumentenlage aus dieser Grabungszeit mangelhaft. Grabungstagebücher wurden nur unzureichend geführt und für die Jahre 1913/1914 fehlen die Grabungsdokumente fast vollständig. Viele Funde, insbesondere aus dem Gräberfeld, sind nicht mehr auffindbar oder können keinen Fundstellen zugeordnet werden. So ist zum Beispiel, bis auf eine Ausnahme, keine Münze aus dem Gräberfeld mehr auffindbar (vgl. Kolb, 2006, 7ff, 29). Spätere Grabungen haben den Wissensstand zwar erweitert, konnten aber auch keine neuen einschneidenden Erkenntnisse liefern.
Als Sekundärliteratur zum Kastell und dem Gräberfeld (11) sind die - teilweise widersprüchlichen - Beiträge von Sprater (1929), Cüppers (1990) und Kolb (2006) zu nennen. Auf sie stützten sich die nachfolgenden Beiträge zum aktuellen Wissensstand, wie er sich aus der Literatur ergibt. Die folgende Grafik zeigt in einer Zusammenfassung den Erkenntnisstand, zu den Kastellstrukturen und der Außenbebauung. Die rot markierten Bereiche bezeichnen Strukturen, die in der Literatur nicht erwähnt, also möglicherweise unbekannt oder wissenschaftlich noch nicht ausgewertet sind. Ihre Würdigung wird additiv zu den Textbeiträgen in den Luftbildinterpretationen vorgenommen.

 

Bild 4.1: Lageplan des Kastells und der Außenanlagen nach den Vorgaben aus Cüppers 1990 und Sprater 1929, ergänzt mit neuen Erkenntnissen (rot) aus der Auswertung der Luftbilder.

 

1 Kastellspitzgraben
2 Ostttor (porta praetoria)
3 Nordtor
4 Südtor
5 Westtor
6 Hauptstraße (via principalis)
7 Ausfallstraße (via praetoria)
8 Eckturm
9 Kastellbad
10a Spitzgraben der älteren Anlage?
10b Spitzgraben der älteren Anlage?
10c Spitzgraben der älteren Anlage?
11 Gräberfeld
12 Zivilsiedlungen
13 Forumartiger Bau
14 Außenstraße? Doppelgraben ältere Anlage?
15 Werkstätten?
16 Abfallgruben
17 Torturm
20 Legionärsbaracken
21 Baustrukturen
22 Gebäudekomplex
23 Außenstraße? Doppelgraben?

 

   Bild 4.2: Lageplan des Kastells und der Außenanlagen Rekonstruktionsversuch

Entdeckung und Ausgrabungen

Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind Funde bekannt, die auf eine römische Siedlungsstelle schließen lassen. Zu einem spektakulären Fund kam es 1886, als man bei der Anlage einer Kartoffelmiete ein menschliches Skelett mit Schwert (gladius), Waffengürtel (cingulum) und einer Münze des Augustus (erster römischer Kaiser; 63 v. – 14 n. Chr.) fand (vgl. Cüppers 1990, 455). Nach Fr. Sprater lag der Tote nicht im Bereich des zum Kastell gehörigen Gräberfeldes, sondern unmittelbar bei der Südwestecke des Lagers (Ulbert, 1969, 9). Das Kastellgelände wurde aber archäologisch nicht weiter beachtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann man inmitten des ehemaligen Kastells Sand abzubauen. 1912, der westliche Kastellteil war bereits durch eine Baggergrube abgetragen, wurden endlich Funde gemeldet, die zu einer sofortigen Notgrabung führten. Es handelte sich dabei um ein Skelett, das wie Sprater bei der Begehung feststellte, in einem Spitzgraben lag und einer beiliegenden Münze des Kaisers Nero. Mit den folgenden Ausgrabungen auf dem noch erhaltenen Kastellteil, konnte schließlich 1913 zum erstenmal ein frührömisches Kastell in der Pfalz nachgewiesen werden (vgl. Sprater,1929, 24). 1961 und 1962 folgen weitere Ausgrabungen unter O. Roller. Sie führten zu neuen Erkenntnissen, warfen aber auch neue Fragen auf.

Gründung des Lagers und Auflösung

Anhand von Münz- und Grabfunden und ihren entsprechenden Fundzusammenhängen kann die Geschichte des Kastells rekonstruiert werden. Man geht davon aus, dass das Kastell und die Außensiedlung in der Regierungszeit von Kaiser Claudius um 43 n. Chr. gebaut wurde. Es lag in einer Reihe von vielen Kastellen die in dieser Zeit zwischen Windisch in der Schweiz und Mainz am Rhein entstanden, um die damalige Grenze zu schützen (vgl. Kolb, 2006, 10). Im Jahr 70 n. Chr. wurde das Kastell zerstört. Ob es durch die aus dem Raum des heutigen Worms stammenden germanischen Vangionen (Bataveraufstand) oder durch einen Aufstand der Besatzung, im Rahmen der Aufstände nach dem Tod von Kaiser Nero, zerstört wurde, ist noch nicht geklärt. Das Kastell wird wieder aufgebaut, verliert aber durch die Eroberung der rechtsrheinischen Seite zunehmend an militärischer Bedeutung und wird schließlich um das Jahr 74 n. Chr. endgültig aufgegeben. An mehreren Stellen konnten Spuren einer nachkastellzeitlichen Besiedlung nachgewiesen werden (Ulbert, 1969, 14). Es wird daher angenommen, dass der Kastellbereich und die Außensiedlung nach Aufgabe des Kastells nicht gleich aufgelöst wurde, sondern als Nachschub- und Straßenstation erhalten blieb. Nach der Datierung der Funde aus dem Gräberfeld kann davon ausgegangen werden, dass die Siedlungsstelle bis ins 4. Jahrhundert, also bis zum Ende der römischen Zeit, genutzt wurde.

Standort

Der Standort war nicht zufällig gewählt. Das Kastell wurde auf einer hochwassersicheren Bodenwelle in direkter Rheinnähe angelegt und lag ca. 5  km von der westlich verlaufenden römischen Rheinuferstraße Worms-Speyer entfernt. Der im Osten und Südosten fließende Rehbach hat zur römischen Zeit noch nicht bestanden. Er ist kein natürlicher Bachlauf, sondern eine künstliche Abzweigung des Speyerbachs, der erst im Spätmittelalter angelegt und seither mehrfach umgeleitet wurde. In römischer Zeit mündete der Neckar unmittelbar gegenüber in den Rhein. Dies unterstreicht die strategisch günstige Lage des Kastells. Man vermutet  außerdem, dass schon in vorrömischer Zeit eine Straße von Neustadt oder Deidesheim kommend über Hassloch an einen in Kastellnähe befindlichen Rheinübergang und weiter bis nach Heidelberg führte. Die militärische Absicherung dieser Furt dürfte daher auch der Hauptgrund für den Bau des Kastells an diesem Ort gewesen sein.
Ein weiterer über den Rhein führenden Übergang existierte bei der heutigen Stadt Speyer. Keltische/germanische Funde sind nachgewiesen. Ob aber dort, wie Sprater vermutet, bis zum Eintreffen der Römern die rechts- und linksrheinisch ansässigen germanischen Nemeter ihr zentrales Oppidum (Noviomagus, römisch civitas oder colonia Nemetum) hatten (vgl. Sprater, 1948, 32f), konnte archäologisch noch nicht belegt werden. Sicher ist, dass um das Jahr 10 v. Chr. unter dem Oberbefehl des Feldherrn Drusus (Stiefsohn des Augustus, Oberbefehlshaber der Rheinarmee und Statthalter von Gallien) ein Militärlager (Kastell A) errichtet wurde, zu dessen Aufgabe es gehörte, den dortigen Rheinübergang zu sichern (vgl. Moersch, 1987, 35). In der Folgezeit entstanden bis 35 n. Chr. zwei weitere Kastelle (B, C).
Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen 10 n. Chr. und 35 n. Chr. auch an der Furt bei Rheingönheim ein Militärlager angelegt wurde. Grabungsergebnisse auf dem Kastellgelände scheinen zumindest die Existenz einer älteren, 11 ha großen Vorgängeranlage zu bestätigen (vgl. Cüppers, 1990, 457), in dessen Innenraum um 43 n. Chr. das Kastell gebaut wurde.

Kastellstrukturen

Das Kastell in Rheingönheim wird als ein so genanntes „frührömisches Auxiliartruppenlager“ (Hilfstruppenlager) angesprochen (vgl. Cüppers 1990, 455). Es war in Holz-Erde Bauweise (Erdkastell) errichtet und umschloss ein rechteckiges Areal. Die noch erhaltene Ostfront hat eine Breite von ca. 187 m. Von der Südfront sind ca. 110 m und von der Nordfront noch ca. 160 m nachweisbar. Da der westliche Teil des Kastells durch den Sandabbau fehlt, kann die genaue Länge des Kastells aber nicht mehr zweifelsfrei bestimmt werden. Die in der Literatur angegebene Länge von 250 m (vgl. Cüppers 1990, 455) beruht auf einem Grabungsbericht von 1912, dass die Südwestecke des Kastells eben in dieser Entfernung von der Nordostecke lokalisiert worden sei. Freilich lässt sich derzeit nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die im Südwesten festgestellte Ecke tatsächlich zu dem Kastell gehört hat. Sie könnte ja auch zu einer älteren oder jüngeren Anlage oder einer Erweiterung aus späterer Zeit gehört haben (vgl. Ulbert 1969, 12). Die genaue Kastelllänge ist daher noch ungewiss.
Geht man davon aus, dass das Kastell tatsächlich einmal 187 Meter breit und 250 Meter lang war, betrug die Lagerfläche ca. 4,67 ha. Als Lagerumwehrung war das Kastell von einem einfachen Spitzgraben (1) (Breite 6 m, Tiefe 3 m nach Cüppers 1990, 456 und Breite 8 m, Tiefe 3,50 m bei Sprater 1929, 30) umgeben. Dahinter lag, im Abstand von ca. 0,5 - 0,75 m (Berme), eine 2,60 m breite, zweischalige, aus senkrecht in den Boden eingerammten Balken bestehende Holz-Erde-Mauer (Holzkastenwerk), mit einer angenommenen äußerer und innerer Holzverschalung. O. Roller stellte bei seinen Ausgrabungen (1961/62) dazu fest, dass die Pfostengräbchen der Mauer in einem Abstand von 3 m (gemessen an den Außenkanten) nebeneinander verliefen (vgl. Ulbert 1969, 12, 14). Über die Höhe der Kastellmauer gibt es keine Erkenntnisse. Man kann aber von einer Mauerhöhe von ungefähr 3 - 3,50 m (bis zum Wehrgang) ausgehen. Dazu kam noch eine knapp 2 m hohe unterbrochene Brustwehr (vgl. Johnson 1983, 72ff). Auf der Innenseite der Kastellmauer verlief die Wallstraße (via sagularis), die von einem Abwassergraben begrenzt war.
Wahrscheinlich hatte das Kastell mindestens vier Tore. Das Osttor (2) (porta praetoria) ist das einzige gesicherte Kastelltor. Der Torbau bestand aus zwei Tortürmen mit jeweils sechs Pfosten und hatte eine Gesamtbreite von 12 m und eine Tiefe von 6 m (Torgasse). Der Zugang erfolgte über eine Erdbrücke.  Im Norden und Süden soll angeblich auf der noch erhaltenen Kastellfläche jeweils ein weiteres Tor (3, 4) festgestellt worden sein. Dies lässt sich auch im Luftbild (3.1f) durch eine gut sichtbare Unterbrechung der nördlichen Lagerumwehrung dokumentieren. Ein Holzturm (8) ist in der NO-Ecke und zwischen dem Osttor nachgewiesen. Weitere Eck-, aber auch Zwischen- und Tortürme (17) können angenommen werden.
Die Hauptstraße (6) (via principalis) zieht sich vom Nordtor (3) zum Südtor (4) durch das ganze Lager. Eine zweite Straße (7) (Ausfallstraße, (via praetoria) verlief vom Haupttor (2) im Osten nach Westen. Sie schneidet nach ca. „60 m“ die Nord-Südstraße (6), verläuft aber nicht bis zum angenommenen Westtor, sondern endet kurz danach im Innenhof des an dieser Stelle vermuteten Stabsgebäudes (prinzipia) (vgl. Cüppers 1990, 457). Der Verlauf der beiden im Luftbild sichtbaren Innenstraßen (6, 7) werfen noch einige ungeklärte Fragen auf, mit denen sich Günter Ulbert (1969, 12f) ausführlich beschäftigt, die aber an dieser Stelle vorerst nicht berücksichtigt werden.

Bild 5.1

Bild 5.2

Bild 5.1 u. 5.2: Positives Bewuchsmerkmal des vor der Kastellmauer umlaufenden Spitzgrabens (1). Hauptstraße (via principalis) (6);.Ausfallstraße (via praetoria) (7); Östliches Haupttor (2); Nordtor (3).

Von der Innenbebauung ist nur wenig bekannt. Zu beiden Seiten der Hauptstraße sind Abfallgruben (16) nachgewiesen. Die Strukturen (15) im Bereich südöstlich der Straßenkreuzung sind in vier Abschnitte von je 40 m Länge unterteilt. Sie werden, aufgrund der Funde in den Abfallgruben und den Strukturabmessungen mit Werkstätten (fabrica) in Verbindung gebracht.
Im Südwesten der Straßenkreuzung wurden 1913 zwei sich überlagernde Baustrukturen freigelegt, die Sprater als Grundrisse von Holzbaracken interpretiert. Die Stelle wird auch mit dem Fundort eines Münzschatzes in Verbindung gebracht (vgl. Cüppers 1990, 457; Sprater, 1929, 29ff.). Weiter südlich fand sich ein Estrichboden, der vermutlich schon in die Nachkastellzeit gehört (Ulbert 1969, 13).

Bild 6.1

Bild 6.2 (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 6.1 u. 6.2: Innenbebauung des nordöstlichen Kastellbereichs
Deutlich
sichtbar sind die negativen Bewuchsmerkmale der Hauptstraße (6) und der Ausfallstraße (7). Der nördliche Teil des Kastellspitzgrabens (1) ist nur schwach als positives Merkmal feststellbar. Gut zu erkennen ist der Durchbruch (3) (Nordtor) der Hauptstraße (6) durch die Kastellmauer und über den vorgelagerten Spitzgraben (1). Die links und rechts, parallel zur Hauptstraße (6) verlaufenden Linien (18) zeichnen sich als positive Merkmale im Gelände ab und sind daher als Abwassergräben anzusprechen. Bei den rechts, zwischen Hauptstraße (6) und Abwassergraben (24) sichtbaren Kreisstrukturen könnte der positive Bewuchs auf Abfallgruben (25) hindeuten. Die zusammenhängenden und einzelnen rechteckigen, positiven Strukturen (26) im nordöstlichen Kastellbereich sind auf Gräben (Balkengräben?) zurückzuführen. Sie könnten die typischen optischen Grundrisse eines oder mehrerer zusammenhängender Gebäude mit großen und kleinen Räumen und einem Mittelgang? (28) sein.

Bild 7.1

Bild 7.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 7.1 u. 7.2: Südöstlicher Kastellbereich
Südlich der Ausfallstraße (7) befindet sich ein in der Literatur bezeichneter (vgl. Cüppers, 1990, 457), in vier Abschnitte eingeteilter Kastellbereich 15), auf dem ein Werkstattbau vermutet wird. Auf den aktuellen Luftbildern ist diese Einteilung nur sehr schwach und unvollständig als negatives Merkmal zu erkennen. Nur einige rechteckige positive Strukturen können einer Innenbebauung zugeordnet werden. Die nördlich gelegenen Strukturen eines Gebäudes (27) sind relativ deutlich zu erkennen. Im Luftbild 6.1 u. 6.2 sind die angesprochenen Strukturen deutlicher zu erkennen.

Kastellaußenbereich

Um das Kastell herum entstand mit dem Bau des Kastells ein in Fachwerkbauweise errichtetes Lagerdorf (12) (canabae). Hier lebten Handwerker, Händler, Wirte, die Angehörigen der Soldaten und ein Heer von Arbeitern und Sklaven. Sie arbeiteten mehr oder weniger für die Armee und waren von den römischen Soldaten und deren Geld abhängig. Die Versorgung der Soldaten und der Dorfbewohner übernahmen Siedlungen im näheren und weiteren Umkreis des Kastells.
Vor dem Osttor (2) ist, beidseitig der Straße zum heutigen Rehbach, eine zivile Bebauung (12) nachgewiesen. In diesem Bereich, südöstlich vor dem Kastellgraben, wurden die Überreste eines gemauerten Militärbades (9) ausgegraben, die möglicherweise in einen größeren Gebäudekomplex an- oder eingebunden war.
Weitere Siedlungsteile (12) sind im Bereich vor dem Südtor (4) und dem „Westtor“ (5) festgestellt worden. Ein großes Gräberfeld (11), mit ca. 400 Bestattungen, schloss sich hinter dem westlichen Siedlungsteil an. Vom Nordtor (3) aus verläuft die Hauptstraße (6) (via principalis) noch ca. 100 Meter in das Außengelände und stößt dort auf eine parallel zur Kastellnordseite doppelte Grabenstruktur (14). Möglicherweise die Gräben einer Straße, die weiter zum Rhein, oder in der östlich bzw. südlich liegenden Außensiedlung geführte hat. Zweifelsfrei ist diese Interpretation aber nicht. Wie in Bild 3.1 erkennbar, handelt es sich um relativ breite Gräben, die eher an Annäherungshindernisse oder auch einen Doppelgraben einer Vorgängeranlage denken lassen. 
Östlich der Hauptstraße (6) ist im Gelände ein weiteres selektives Gebäude nachgewiesen, das als forumartiger Holzbau (13) angesprochen wird.
Die Funktion dreier im Gelände verlaufende Spitzgräben (10a-b) ist noch nicht geklärt. Ein Graben (10c) wurde von Sprater 1913 westlich zwischen Außensiedlung und Gräberfeld (11) dokumentiert. Zwei weitere Spitzgräben (10a-b) sind in den 60er Jahren nördlich und südlich vor dem Kastell festgestellt worden. Es können Annäherungshindernisse oder auch die Reste einer  Vorgängeranlage gewesen sein.

Bild 8.1

Bild 8.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 8.1 u. 8.2: Osttor und östlicher Außenbereich
Das Osttor (2) und die über den Kastellspitzgraben (1) herausführende Ausfallstraße (7) sind gut im Gelände zu erkennen. Die negative, parallel zum Spitzgraben verlaufende, Struktur (31) könnte ein Teil der inneren Wallstraße sein. Eine winkelförmige Struktur in der nordöstlichen Kastellecke ist einem Eckturm (8) zuzuordnen. Einige links der Ausfallstraße befindliche, rechtwinklige Strukturen deuten aufgrund der negativen Bewuchsmerkmale auf Steinbauten (21a-b) hin und sind möglicherweise erst nach der Auflösung des Kastells erstellt worden. Der quadratische Grundriss (21a) mit einer Kantenlänge von ca. 5-6 m, erinnert an ein Turmfundament. Es könnte in Zusammenhang mit einer Straßenstation (Beneficarierstation) stehen. Aber auch an eine kleine Tempelanlage vor dem Kastellhaupttor ist zu denken.

Bild 9.1

Bild 9.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 9.1 u. 9.2: Osttor und östlicher Außenbereich
Die rechtwinklige Struktur ist das gemauerte Militärbad (9). Einige parallel verlaufende Strukturen deuten auf einen größeren Gebäudekomplex hin.

Bild 9.3

 

Bild 9.3

Bild 9.3 u. 9.4: Einzelheiten im Badbereich
Bei den geometrisch angeordneten, negativen Bewuchsmerkmalen handelt es sich möglicherweise um selektiv angeordnete Steinfundamente.  Betrachtet man die winkelige Struktur genauer können zwei weiter Fundamentelemente vermutet werden. Zudem scheinen die einzelnen Elemente mit Mauern verbunden zu sein oder auf einem Mauerfundament zu stehen. Die Merkmale sind aber nur sehr schwach sichtbar. Zusammen ergeben sie eine rechteckige Struktur, die möglicherweise das Fundament eines oder mehrere beheizbarer Böden (Räume) waren.

Bild 10.1

Bild 10.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 10.1 u. 10.2: Nördlicher Außenbereich
Die Hauptstraße (6) verläuft über den Kastellspitzgraben (1) aus dem Kastell und schneidet eine parallel zum Kastell verlaufende, positive Struktur (10a). Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Spitzgraben, der bis zum heutigen Rehbach geführt hat. Man vermutet, dass es sich um die Struktur eines Vorgängerkastells oder um Annäherungshindernisse handelt. Oberhalb dieses Grabens sind links der Hauptstraße die positiven Merkmale (Balkengräben?) eines in der Literatur noch nicht beschriebenen größeren Gebäudekomplexes (22) (Holzbau) sichtbar. Rechts davon befinden sich die nur schwach sichtbaren Strukturen eines, in der Sekundärliteratur angesprochenen, forumartigen Holzbaus (13). Die Hauptstraße (6) stößt nach ca. 100 Meter auf eine parallel zum Kastell geführte doppelte Grabenstruktur (14). Möglicherweise handelt es sich um Straßengräben. Andererseits ist die breite der Gräben so groß, dass es sich auch um Annäherungshindernisse oder auch um eine Doppelgraben einer Vorgängeranlage handeln kann.

Bild 11.1

Bild 11.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 11.1 u. 11.2: Einzelheiten zu den Gebäudekomplexen 22 und 13
Der Grundriss eines Holzfachwerkhauses ist im Luftbild nur schwer auszumachen. Abhängig von der Konstruktion können Fundamentgräben (Balkengräben), die Pfostenlöcher oder die umlaufenden Abwassergräben als positive Merkmale erkannt werden. Beide Gebäudekomplexe (22, 13) bestanden wahrscheinlich aus Einzelgebäuden und einigen zusammenhängenden Fachwerkhäusern. Insbesondere der Gebäudekomplex (13) scheint sich bis an den Kastellgraben zu erstrecken. Nordöstlich (dunkelgrüne Ackerfläche) der in der Literatur als forumartiger Bau angesprochene Holzbau / Gebäudekomplex (13) können einige rechteckige, positive Strukturen ausgemacht werden (nicht eingezeichnet). Diese liegen aber nicht parallel zu den übrigen Strukturen. Es könnte sich in diesem Fall um eine Reihe von Einzelgebäuden handeln. Andere Ursachen für die Strukturen sind aber nicht ausgeschlossen.

Bild 12.1

 

Bild 12.2

Bild 12.1 u. 12.2: Forumartiger Holzbau
Das hinter dem Spitzgraben (10a) des möglichen Vorgängerkastells liegende forumartige Gebäude (13) ist an den positiven Merkmalen teilweise gut zu erkennen. Die rechtwinkligen Strukturen lassen einen zusammenhängenden Gebäudekomplex vermuten, während die nicht parallel verlaufenden rechteckigen Strukturen Einzelgebäuden zu zuordnen sind. Oberhalb dieses Gebäudes lassen sich relativ große Gruben (32) feststellen die möglicherweise als Abfallgruben genutzt wurden.

Bild 12.3: Grubenstruktur
Der Bildausschnitt zeigt eine Reihe von ca. 3 m langen Gruben. Eine natürliche Ursache ist aufgrund der Anordnung auszuschließen. Es könnten sich um Abfallgruben oder auch eine Art von Lagergruben handeln. Bezieht man aber die Strukturen im näheren, hier nicht dokumentierten, Umfeld mit ein, wird auch die Nutzung als Grabgruben wahrscheinlich. Die Strukturen können daher als Teil eines noch nicht dokumentierten Gräberfeldes angesprochen werden. Eine entgültige Klärung kann aber nur durch eine Grabung erreicht werden.       

 

 

Bild 12.3

 

Bild 13.1

Bild 13.2  (Klicken Sie auf das Bild)

Bild 13.1 u. 13.2: Südliche Kastellseite
Die Hauptstraße (6) stößt auch in südlicher Richtung auf eine parallel verlaufende Grabenstruktur die vom Schnittpunkt aus in westlicher Richtung am Kastell vorbei verläuft Wie bei Pos. 14 (Bild 10.1) könnte es sich um die Gräben einer Straße handeln (Zubringerstraße zur Rheinuferstraße Worms-Speyer?) oder auch um  einen Doppelgraben einer Vorgängeranlage. Auch ein kurzes Stück des südlichen Spitzgrabens (10b) des vermuteten Vorgängerkastells bzw. eines Annäherungshindernis lässt sich auf dem Luftbild noch schwach feststellen.

Resümee und Ausblick

Die Auswertung der Luftbilder 2006/2007 hat in den sichtbaren Bereichen den aktuellen Wissensstand zum Kastell und der Außenbesiedlung bestätigt und teilweise erweitert. Neue Strukturen im Kastell und im Außenbereich, die bisher unbekannt oder in der Sekundärliteratur noch nicht entsprechend gewürdigt wurden, konnten festgestellt werden. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die dokumentierten Strukturen im nordwestlichen Außenbereich, die die Frage nach einer Außensiedlung beantworten könnten. Im Kastellinneren waren nur im nordöstlichen Bereich eindeutige Strukturen festzustellen. Auf den anderen Kastellbereichen konnten auch vereinzelt Strukturen erkannt werden. Diese waren aber nur sehr schwach abgebildet und konnten nicht zu einem größeren, funktionalen Ganzen verbunden werden. Aus diesem Grund wurde auf eine Dokumentation dieser Bereiche vorerst verzichtet. Archaeoflug wird aber bei den zukünftigen Befliegungen insbesondere diese Gebiete prospektieren, um auch hier zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. In diesem Sinne hoffen wir auf einen flächig, eng gepflanzten Getreideanbau und einen, aus luftbildarchäologischer Sicht, trockenen Sommer 2008.

Literatur:
Cüppers, Heinz: Die Römer in Rheinland-Pfalz, Stuttgart 1990
Johnnson, Anne: Römische Kastelle des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. in Britannien und in den germanischen Provinzen des Römerreiches, Mainz 1987
Kolb, Matthias: Das römische Gräberfeld von Rheingönheim, Mannheim 2006
Moersch, Karl: Geschichte der Pfalz, Landau 1987
Sprater, Friedrich: Die Pfalz in der Vor- und Frühzeit, Speyer 1948
Sprater, Friedrich: Die Pfalz unter den Römern. Teil 1, Speyer 1929
Ulbert, Günter: Das frührömische Kastell Rheingönheim. Die Funde aus den Jahren 1912 und 1913, Berlin 1969

Weiterführende Links:

Frührömisches Kastell - Rheingönheim

Aktuelle Prospektionsergebnisse

Stand: 25.05.08

 

+

Frührömisches Kastell - Rheingönheim

Rekonstruktionsversuch

 

+

archaeoflug 2007


www.archaeoflug.de