Kastell Rheingönheim - Ausgrabungen 2008/2009

Brandkatastrophe im vicus_Toranlage Kastell 01

Im Zeitraum 2008/2009 fand im Rahmen der geplanten Erneuerung des Rhein-Hauptdeiches eine Grabung der GDKE Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie Speyer, unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Andrea Zeeb-Lanz, an dem bekannten Auxiliarkastell bei Ludwigshafen-Rheingönheim statt. Obwohl nur die unmittelbar von Deicharbeiten bedrohte schmale Ackerfläche, ca. 100 m vor den östlichen Kastellgrenzen, im Vorfeld des Osttores, ergraben wurde, kamen bedeutende Funde und Befunde zutage, die zu wichtigen neuen Erkenntnissen zur Geschichte des Kastells Rheingönheim geführt haben.  

Bild01: Kastell Rheingönheim. Grabungsfläche "Im Sommerfeld". Ausgrabung 2008-2009.

Kastellvicus des Auxiliarlagers

Wie zu erwarten, kamen in diesem Grabungsareal die Überreste des östlichen, auxiliarzeitlichen Kastellvicus (Lagerdorf) zutage, der von einem Zerstörungshorizont überzogen war. Die Befunde wiesen deutliche Brandspuren in Form von Ascheschichten auf. Offenbar hatte sich ein flächendeckendes Feuer ausgebreitet und den vicus in großen Teilen zerstört. „Dass es sich nicht um ein zufälliges Schadensfeuer gehandelt haben kann, sondern hier von einer gewaltsamen Zerstörung auszugehen ist, belegt der Fund von zwei menschlichen Skeletten in dem verbrannten Keller mit der Holztreppe. Die Skelette wiesen starke Brandspuren auf, viele Knochen waren völlig schwarz verfärbt. Beide Tote waren offenbar von Feinden niedergeschlagen und dann in den brennenden Keller, bzw. das brennende Gebäude geworfen worden. Vor ihrer „Entsorgung“ hatte man sie jedoch grausam verstümmelt: Einer der Toten war geköpft worden, dem anderen hatte man die Unterarme abgeschlagen, von denen einer im Bereich des rechten Oberschenkels gefunden wurde.“ (Zeeb-Lanz, 2008-2009, 6).

Bild 02:  Rekonstruktion Auxiliarlager. Ansicht von Südost.

Die Brandkatastrophe steht mutmaßlich in Verbindung mit dem Bataveraufstand am Rhein, dem auch das Auxiliarkastell und der Kastellvicus zum Opfer gefallen dürfte. Silya Bauer beschreibt ausführlich diesen wichtigen Zeitabschnitt: „Die Tötung und Verstümmelung der Individuen sind vermutlich in Zusammenhang mit den Ereignissen zu sehen, die sich im letzen Drittel des 1. Jhds. In den nördlichen Provinzen des römischen Reiches abspielten und zur Zerstörung bzw. Niederbrennung des Kastellvicus geführt haben dürfte. Für die Jahre 69 bis ca. 72 n. Chr. sind zahlreiche Aufstände germanischer Stämme bekannt, die von dem römischen Historiker Tacitus (58-116 n. Chr.) beschrieben werden. Angeführt wurde die Reihe von Revolten im Gebiet der Rheinmündung vom germanischen Stamm der Bataver. Diesen Aufständischen schlossen sich weitere germanische Stämme an, und auch verschiedene germanische Hilfseinheiten der römischen Armee (Auxiliartruppen) meuterten gegen die römische Befehlsgewalt.

Bild 03: Lageplan Auxiliarlager. Ansicht von Süden.

Bild 04: Rekonstruktion Auxiliarlager. Osttor.

Aus diversen historischen Quellen ist bekannt, dass die germanischen Hilfstruppen, die dem Befehlshaber der Rheinarmee, Vitellius, unterstanden, zwar seinen Zug nach Rom (um einen weiteren Anwärter auf den Kaiserthron, Galba, der sich mit Unterstützung der kaiserlichen Prätorianergarde in Rom aufhielt, zu stürzen) zeitweise mitmachten, aber etwa in der Höhe des heutigen Freiburgs umkehrten, um sich den meuterten Germaneneinheiten am Unter- und Mittelrhein anzuschließen – oder um zumindest das Joch der römischen Herrschaft abzuschütteln. Auf ihrem Weg nach Norden längs des Rheins hinterließen diese revoltierenden Verbände eine Spur der Verwüstung, der nach Ausweis der Münzfunde im Kastellvicus des Auxiliarlagers Rheingönheim auch dieser Ort zum Opfer gefallen sein dürfte.“ (Silya Bauer, 2013, 109).

Bild 05: Grabungsfläche 2008-2009. Östlicher Doppelspitzgraben (Legionslager). Östlicher Auxiliarkastellvicus.

Toranlage Legionslager

Von besonderer Bedeutung war die Entdeckung einer ca. 10 m breiten Doppelspitzgrabenanlage und die Spuren einer großen Toranlage des schon lange vermuteten älteren Kastells. Die zwei, ca. 4 m breiten, Spitzgräben verlaufen parallel zu der Ostflanke des bekannten Auxiliarkastells und sind in der Verlängerung der Ostweststraße des Auxiliarlagers (via praetoria) ca. 15 m unterbrochen. „Zwischen den breiten Spitzgräben konnte ein schmales, nicht mehr sehr tief erhaltenes Gräbchen dokumentiert werden. Entweder hatte sich zwischen den beiden Gräben ein weiteres Annäherungshindernis in Form einer Palisade, wohl aus oben angespitzten Pfählen, befunden, oder aber das Gräbchen diente zur Entwässerung, damit die beiden Spitzgräben nicht bei Regenfällen innen erodierten und zu einem flachen Graben zusammenflossen.“ (Zeeb-Lanz, 2008-2009, 8).

Bild 06: Pos. Osttor Legionslager. Doppelspitzgraben.

Bild 07: Rekonstruktion Osttor des Legionslager.

Bild 08: Rekonstruktion Osttor des Legionslager.

Bild 09: Rekonstruktion Osttor des Legionslager (Innenansicht).

Direkt an der Innenseite der unterbrochenen Doppelspitzgrabenanlage konnten nördlich sechs Pfosten erkannt werden, die in drei Paaren angeordnet sind. Sie gehören zu einer Toranlage, mit einer ca. 10 m breiten Torgasse, aus beidseits flankierenden Tortürmen, die in Verlängerung der Holz-Erd-Mauer gestanden haben. Rekonstruiert man das Tor mit zurückspringenden Seitentürmen, so müsste man jeweils sechs weitere Pfostenpaare annehmen (Maurer, 2013, 100). Da eine Erweiterung der Grabungsfläche nicht möglich war, konnte der Tortyp bei dieser Grabung leider noch nicht abschließend bestimmt werden.

Die folgenden vier Rekonstruktionen der Toranlage sind aus dem Jahr 2009 und sind als ein erster Rekonstruktionsversuch zu verstehen. Eine Zusammenfassung finden Sie unter Rekonstruktion: Kastell Rheingönheim. Toranlage Kastell 1 - Version 01. Ausgewählte Rekonstruktionen.

Bild 10: Rekonstruktion des Osttors (Legionslager). Ansicht von Südosten.

Bild 11: Rekonstruktion des Osttors (Legionslager). Ansicht von Osten.

Bild 12: Rekonstruktion Osttor. Innen.

Bild 13: Rekonstruktion Osttor des Legionslager (Ansicht von der Innenseite).

Legionskastell

Die Aufdeckung des Doppelgrabensystems und der Toranlage kann als Glücksfall angesehen werden. Schon lange hatte man durch Grabungs- und Luftbildbefunde vermutet, dass hier neben dem Auxiliarkastell ein älteres Kastell, eine Vorgängeranlage (Kastell 1), bestanden hat. Dies kann nun als gesichert angenommen werden.

Bild 14: Gräben nach Grabungs- und Luftbildbefunden (rot). Möglicher Verlauf (blau). Doppelgrabensystem (1a-c). Grabungsfläche 2008-09 (gelb). Lagerstraßen (hell). (Luftbild: Google Earth).

Bild 15: Luftbild von Süden. Lagerstraßen, Bewuchsmerkmale der Innenbebauung. Nördlicher Doppelspitzgraben (markierte Fläche).

Bekannte Luftbildbefunde können und müssen im Kontext der neuen Grabungsergebnisse neu interpretiert werden. Nördlich (Bild 15-1a) und südlich des Auxiliarkastells (Bild 14-1c) sind im Luftbild Doppelgrabenstrukturen zu erkennen, die bisher – wenn auch mit Zweifel – als Straßen angesprochen wurden. Die Ausrichtung des ausgegrabenen Doppelgrabens, wie auch die Position der Toranlage, passt wie ein Puzzleteil zu den beiden Luftbildbefunden. Man kann sie daher, mit hoher Wahrscheinlichkeit, als Südflanke bzw. Nordflanke des älteren Kastells ansprechen. Damit hätte die Nordsüdausdehnung der Vorgängeranlage eine Breite von ca. 400 m. Die Ost-West-Ausdehnung bleibt, wie auch bei dem Auxiliarkastell, durch die Störung der Kiesgrube im Westabschluss unbekannt. „Seine Mindestlänge beträgt 420 m: So weit ist der westlichste sichtbare Punkt der Südflanke des Doppelgrabensystems von der - im Luftbild nicht erkennbaren, aber hinreichend sicher lokalisierten – Südostecke entfernt. Das Lager muss also eine Fläche von wenigstens 16,8 ha besessen haben, geht man davon aus, dass es spielkartenförmig war, worauf die erhaltenen Seiten hindeuten. Legt man die üblichen Seitenverhältnisse römischer Lager zugrunde – nach Hyginus Gromaticus, de munitionibus castrorum, betrug das ideale Verhältnis 2:3 – könnte es noch größer gewesen sein, also etwa 20-24 ha Fläche umfasst haben. Damit konnte es Truppen in Stärke einer Legion (ca. 5600 Mann) aufnehmen und soll daher im Folgenden als „Legionslager“ bezeichnet werden“ (Maurer, 2013, 100).

Bild 16: Größenvergleich (max.) Auxiliarlager (Kastell 2: 183 x 250 m) und Legionslager (Kastell 1: 400 x 600 m). Die rote Markierung entspricht dem angenommenen Doppelgrabenverlauf des Legionslagers. (Ansicht von Nordwesten). 

Für eine zeitliche Einordnung des „Legionslager“ (Kastell 1) liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Die Frage wird ausführlich in Maurer, 2013, 102f und Zeeb-Lanz, 2008-2009, 10f diskutiert. Als erstes Fazit lässt sich festhalten, dass das große Legionärslager scheinbar nicht langfristig belegt war bzw. zwar fertiggestellt, wie ein ausgegrabener Kopfbau einer Mannschaftsbaracke belegt, aber aufgrund Planungsänderungen o.ä. nicht genutzt wurde (vgl. Maurer, 2013, 103).

Für die Luftbildprospektion und die Interpretation der Luftbildbefunde ergeben sich aus den gewonnenen Erkenntnisse der Ausgrabung 2008-2009 im Sommerfeld neue Herausforderungen und Fragestellungen. Wurden bisher die registrierten Luftbildbefunde fast ausschließlich dem jüngeren Auxiliarkastell zugeordnet, wird man in Zukunft bedenken müssen, dass die festgestellten Strukturen zu mehreren Lagergenerationen gehören können und scheinbar zivile Gebäudegrundrisse möglicherweise zur Innenbebauung des früheren Lagers gehören. Insbesondere die Gebäudezuordnung im Innenbereich des Auxiliarkastell wird anhand von Luftbildbefunden schwierig. Das hat natürlich auch direkte Auswirkungen auf die bisher erstellten Kastellrekonstruktionen, die zukünftig an die neuen Erkenntnisse anzupassen sind.

Quellen und empfohlen Literatur:

Bauer, 2013
S. Bauer, Leichen im Keller. Anthropologische Untersuchungen der menschlichen Skelettreste aus dem Kastellvicus des römischen Auxiliarlagers von Rheingönheim, „Sommerfeld“. Stadt Ludwigshafen, Rheinland-Pfalz, In: Zeeb-Lanz/A. Stupperich/R (Hrsg.), Palatinatus Illustrandus. Festschrift für Helmut Bernhard zum 65. Geburtstag. Mentor. Studien zu Metallarbeiten und Toreutik der Antike. Band 5, (Wiesbaden 2013), 105-110.

Kolb, 2006
M. Kolb, Das römische Gräberfeld von Rheingönheim (Diss. Uni Mannheim 2006, Online-Publikation)

Johnson 1987
A. Johnson, Römische Kastelle des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. in Britannien und in den germanischen Provinzen des Römerreiches. Kulturgeschichte der antiken Welt 37 (Mainz 1987).

Maurer, 2013
T. Maurer, Darf’s noch ein großes Lager sein? Grabungen und Luftbilder werfen neues Licht auf den frührömischen Militärplatz Ludwigshafen-Rheingönheim. In: Zeeb-Lanz/A. Stupperich/R (Hrsg.), Palatinatus Illustrandus. Festschrift für Helmut Bernhard zum 65. Geburtstag. Mentor. Studien zu Metallarbeiten und Toreutik der Antike. Band 5, (Wiesbaden 2013), 93-104.

Zeeb-Lanz, 2008-2009
A. Zeeb-Lanz, Archäologische Ausgrabung Rheingönheim, „Sommerfeld“ (Giulini-Deich) 2008-2009. Zusammengefasster Grabungsbericht (15 Seiten pdf).
URL: www.archaeologie-speyer.de

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Rekonstruktion

Kastell Rheingönheim - Toranlage Kastell 01 (Vorgängeranlage des Auxiliarkastell)

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